Ich starrte die Zimmerdecke an und reagierte nicht auf die immer lauter werdenden Rufe meiner Mutter. Schritte näherten sich über den schon ziemlich ramponierten Holzboden und Lucia hämmerte gegen die Türe als wollte diese einschlagen. Doch ich blieb stumm auf meinem Schreibtischstuhl sitzen und starrte aus dem kleinen Fenster. Das Wetter passte hervorragend zu meiner Laune, regnerisch, der Himmel wolkenverhangen. Unablässig prasselten Tropfen auf die Erde herab sodass die ganze Umgebung grau und verwaschen wirkte, beinahe unwirklich.
Pfützen bildeten sich auf der verlassenen Straße und der Wind wehte die sich allmählich verfärbenden Blätter durch die Gegend.
Auf dem grün-braunen Rasen welcher unter der Hitze des Sommers gelitten hatte stapelten sich kistenweise wasserfest verpackte Sachen und in dem geöffneten Schuppen lagerten die Umzugskartons. Umzug - wie ich dieses Wort hasste. Nicht nur die vertraute Umgebung, auch Schule und Freunde musste ich einfach aufgeben um an das andere Ende der Stadt zu ziehen.
Die letzten Wochen der Freien hatte ich Trübsal geblasen und mich in meinem Hotelzimmer verbarrikadiert statt im saphirblauen Meer zu baden.
Hingegen nahm Finn, mein kleiner Bruder, nahm das alles viel lockerer denn er musste ja nicht am Anfang der letzten Klassen Unterstufe die Schule wechseln, ob er hier oder in Afrika ins Gymnasium kam war ihm gleich.
"Molly!", riss mich die Stimme meiner Mutter abermals aus den Gedanken. "Deine Freundinnen sind hier, verabschiede dich wenigstens von denen!"
Doch meine zwei besten Freundinnen Flora und Anastasia warteten gar nicht ab dass ich aufstand und ihnen öffnete, sie stürmten wie auf das Stichwort in mein Zimmer, Anastasia voran.
Ehe ich es mir versah fiel mir die kleine Italienerin um den Hals und meine Sicht wurde von langen schwarzen Locken getrübt und ein starker Geruch nach Erdbeershampoo stieg mir in die Nase.
An schob mich auf Armeslänge von sich und schniefte leise, ob dies nun echt oder vorgespielt war konnte ich nicht sagen.
Ich hoffte inständig dass sie und Flora auch ohne mich, sozusagen eine Brücke zwischen ihnen, miteinander auskommen würden. Anastasia war ein Mädchen die sich (Jedenfalls derzeit) für nichts anderes als Schminke, Klamotten, Jungs und den neuesten Tratsch interessierte während Fora der größte Tier-Freak der Erde mit einem riesengroßen Herzen war, in dem jedes kleinste Wesen untergebracht werden konnte. An meinte, eines Tages würde selbst Flora von der Pubertät eingefangen werden, diese hingegen meinte auch Anastasias Phase würde ihr Ende finden und dann könnte sie ihr Umfeld besser verstehen und ihre Sicht vielleicht kapieren.
Ich, die von beidem ein Stück hatte würde dieses ganze Band mit dem Umzug vielleicht zum Einsturz bringen.
Nun drängte sich Flora mit einem seltsam Ausruck in den Augen, den ich nicht zu deuten wusste, vor. Sie nahm mich fest in den Arm und Anastasia säuselte dazwischen: "Wir kommen dich so oft wie möglich besuchen, das weißt du doch, Molly." Ich nickte tapfer und ließ mich auf mein Bett fallen, an die Wand gelehnt. Flora ließ sich neben mir nieder und legte mir ihre Hand auf den Oberschenkel legte während An mit ihren rot lackierten Krallen auf die zerkratze Platte meines Schreibtisches klopfte und mich aus ihren Augen die mich sehr an die eines Rehes erinnerten musterte.
"Du weißt schon noch, was du mir versprochen hast?", sagte sie eindringlich und ich runzelte die Stirn. Jetzt kam sie mit ihren sehr einfallsreichen, durchgeknallten Ideen wie ich sollte zuerst jeden aus der Klasse stalken bevor ich mich mit jemanden befreundete...
"Als du und ich telefoniert haben habe ich dir fest eingeschärft", sagte sie und legte eine kunstvolle Pause ein welche sie fast genießerisch in die Länge zog, "dass ich per SMS die genaue Beschreibung von ausnahmslos jedem Jungen brauche, am besten noch dazu ein Foto."
Natürlich hatte sie das nie gesagt, doch Flora und ich begannen zu kichern und sagten "Typisch An" im Chor, wonach wir alle begannen zu lachen und nebeneinander auf meiner Bettdecke lagen.
"Du musst uns jeden Tag mindestens hundert SMS schicken oder fünfmal anrufen, ja?", sagte An und drehte den Kopf um mich anzusehen.
"Ich weiß nicht ob sich das mit dem Tarif ausgehen wird", grinste ich, stieß ihr den Ellbogen in die Seite und rappelte mich mühsam auf.
"Es wird bestimmt schrecklich dort", jammerte ich leise und stütze mich an der Wand ab.
An sah mich lange an an, antwortete und klang dabei sehr seriös: "Ich weiß doch, dass ohne mich jeder Ort auf der Welt trostlos wirkt." Sie klimperte mit ihren langen Wimpern und ich musste erneut lachen; sie verstand es wirklich, jeder Situation ein wenig von ihrem Ernst zu nehmen.
Flora ließ sich von mir aufhelfen und meinte: "Ich glaube wir sollten dann gehen, An." Sie sah mich verständnisvoll und ein wenig entschuldigend an und packte Anastasia beim Arm.
Ich nickte und spürte wie sich mein Hals schmerzhaft zuschnürte. "Klar", sagte ich doch es klang nicht halb so kraftvoll wie ich es wollte.